Induktives Laden, komplett kabellos

30.05.2022

Es klingt nach Zukunft, ist ambitioniert, aber keine Utopie: Das Elektroauto induktiv laden, ohne Kabel. Induktion ist Physik und keine Zauberei: Die Technik für Fahrzeuge ist bereits serienreif.

Kennen Sie die Tischlampe des großen schwedischen Möbelhauses mit vier Buchstaben? Man legt einfach sein Smartphone darauf ab, schon lädt es. Ganz ohne Kabel.

Bei elektrischen Zahnbürsten, bei Handys und einigen Kleingeräten ist induktives Laden bereits möglich. Ein weiterer Vorteil: ein und dieselbe Ladestation kann verschiedene Smartphones (sofern sie den Standard unterstützen) aufladen.

Für Smartphones ist der Standard bereits gefunden: "Qi". Qi bedeutet „Energie“. Mit fünf bis zehn Watt lädt das Handy kaum langsamer gegenüber kabelgebundenen Ladegeräten. Viele hundert Unternehmen, darunter Riesen wie Apple, Samsung und Google unterstützen diesen Standard. Für die mobile Gesellschaft, die unterwegs telefoniert, digital fotografiert und im Home-Office arbeitet, ist das kontaktlose Laden die adäquate Technik.

Induktion: Bereits Tesla forschte daran

Die Idee des induktiven Ladens ist nicht neu. Nikola Tesla brachte per Induktion schon vor über 120 Jahren eine Glühlampe zum Leuchten. Christian Oersted und Michael Faraday haben den Zusammenhang von Magnetismus und Elektrizität bereits früher entdeckt. Mit der Erfindung der Radiowellenübertragung geriet die Induktion jedoch ein wenig ins Abseits.

Strom induktiv und kontaktlos zu übertragen bietet große Vorteile:

  • Man kann das Kabel vergessen. Wer es nicht anfassen muss, kann auch nicht mehr über herumliegende Stolperfalle stürzen.
  • Stecker, Schnur, Dose – man braucht sich nicht um Anschlussmöglichkeiten zu kümmern. Strom muss fließen, das genügt. So viel Ladekomfort ist kaum zu übertreffen.
  • Beim Induktionsherd kann die Technik ihre besonderen Stärken ausspielen: Topf und Kochfeld haben unmittelbaren Kontakt. Der Topfboden wird sehr schnell und effektiv erhitzt – durch das elektrische Magnetfeld, nicht durch Hitze. Die Herdplatte erwärmt sich kaum, so dass man sich nicht daran verbrennt und Speisereste nicht einbrennen.

Spulen für induktives Laden verlangen Nähe

Aber Autos, erst recht Busse und LKWs setzen ganz andere Leistungsdimensionen voraus als ein Induktionslicht oder das Handyladen. Berührungslos laden heißt immer: Zwei Spulen, eine am Boden, eine an der Fahrzeugunterseite, müssen sich möglichst nahekommen. Je stärker das Magnetfeld, das zwischen beiden aufgebaut wird, um leistungsstärker das Laden, umso kürzer die leidige Ladezeit. Mit wachsendem Abstand fällt der Wirkungsgrad rapide.

Physikalisch ist das Ganze elementar: Der Stromfluss durch den elektrischen Leiter erzeugt ein Magnetfeld. Das Magnetfeld erzeugt in einem elektrischen Leiter einen Stromfluss. Hochfrequente Wechselströme erzeugen in den Spulen ein pulsierendes Magnetfeld. Beim „Empfänger“, der Sekundärspule im Fahrzeug, passiert das Umgekehrte: Das Magnetfeld lässt dort den Ladestrom zu den Akkus fließen.

Leistung des induktiven Ladens noch steigerungsfähig

Üblich oder angekündigt sind zurzeit Ladeleistungen, die einer üblichen Wallbox entsprechen. Sie beginnen bei etwa 3,6 Kilowatt (kW) und reichen bis 11, demnächst auch 20 bis 22 kW. Das entspricht einer schnellen Wallbox im privaten Bereich. Eine solche im Boden versenkte Ladestation kann die Wallbox also samt Stecker und Kabel überflüssig machen.

Einen Nachteil teilen alle Konzepte für induktives Laden: Die Ladespulen müssen so exakt wie möglich übereinander liegen. Die Autohersteller lösen das Problem, indem sie eine Navigationshilfe anbieten, um die Abstände genau zu justieren.

Der Vorteil: Induktives Laden funktioniert auch bei Schnee und Eis. Die Ladestation verträgt einen gewissen Grad an Verschmutzung. Deshalb eignen sich die Ladestationen auch für Carports, für den Außenbereich – und für Parkplätze im öffentlichen die Verkehrsraum. Wallboxen sind hier Witterungseinflüssen und Vandalismus ausgesetzt. Ladestationen können im Boden versenkt werden, fallen im Stadtbild kaum auf und verschleißen vermutlich langsamer als eine Hightech-Ladesäule.

Verschiedene Hersteller mit verschiedenen Standards

Unterschiedliche Standards oder vielmehr proprietäre Lösungen für induktives Laden ringen um die Marktführerschaft, wollen Lizenzen verkaufen und trommeln um Unterstützung:

  • Nissan sagt „Halo“. Auf einer amerikanischen Computermesse präsentierte der japanische Autohersteller schon 2017 sein System zum drahtlosen Aufladen. Das System wurde vom amerikanischen Chipgiganten Qualcomm entwickelt und bietet eine Ladeleistung zwischen 3,7 und 22 Kilowatt liegt. Beim Nissan sind 6,6 kW Ausgangsleistung bei einer sehr hohen Effizienz von 90 Prozent. Mit Halo wollte Qualcomm beim „wireless electric vehicle charging“ (WEVC) Maßstäbe in Sache Technik und Usability setzen. Laden sollte so einfach werden wie bei der elektrischen Zahnbürste im heimischen Badezimmer und bei entsprechender Verbreitung so leistungsfähig, dass Autos eine unbegrenzte Reichweite erhalten. 2019 kaufte Witricity das Ladesystem Halo von Qualcomm ab.  Das Knowhow des Systems Halo soll in das eigene Ladesystem Drive 11 integriert werden. Das bedeutet, ein einheitliches System, das die Interoperabilität mit sämtlichen Fahrzeugen gewährleistet, rückt in greifbare Nähe. 2022 geht das Projekt in die Pilotphase.
  • Auch BMW und Mercedes unterstützen mit einer gemeinsam entwickelten Lösung Qualcomm Halo. BMW zum Beispiel baut nicht nur den Mittelklasse-i3 und den Supersportwagen i8. Allein im Jahr 2017 wurden etwa 100.000 Hybridfahrzeuge verkauft. Das induktive Laden erprobten bereits die Pace Cars und die Ärztewagen der Formel E.
  • Das Premium-Modell des BMW 530e iPerformance lädt auch induktiv. Damit das optimal klappt, zeigen Sensoren und das Display am Armaturenbrett die genaue Position der Primärspule an. Diese eignet sich im Übrigen für die Garage ebenso gut wie für den Stellplatz im Freien. Der Hersteller schätzt die Ladezeit auf 3,5 Stunden für den Akku mit 9,1 kWh (brutto). Das im vergangenen Jahr angekündigte kabellose Laden ist nun als Leasing-Sonderausstattung ab Werk erhältlich. Eine Nachrüstung ist nicht möglich.
  • Auch Mercedes plante ein ähnliches System anzubieten. Das Topmodell der S-Klasse, der S 560 e, sollte Laden nach dem WEVC-Standard ermöglichen. Bestellbar ist das Luxusfahrzeug seit Sommer 2018, jedoch ohne Induktionsladefunktion. Daimler entschied sich vorerst gegen den Einbau von Induktion in Serienfahrzeuge, bis die Ladeleistung 6 kW überschreitet.
  • Der Audi A 8 wird über eine 90 mal 70 Zentimeter messende, 7 Zentimeter hohe Platte, die 40 Kilo wiegt, induktiv geladen. Der Plug-in-Hybrid fährt rein elektrisch 40 Kilometer weit. Der Spalt zwischen Primär- und Sekundärspule, also der Abstand von Bodenplatte zum Fahrzeug, soll so gering ausfallen, „dass die Hauskatze nicht gefährdet werde“.

Laden soll mit 3,6 kW Leistung binnen vier Stunden möglich sein. Die Hersteller legen es gerade bei Hybridfahrzeugen, nicht auf ein Maximum an Leistung, sondern ein Optimum in der Handhabung an.

Standardisierung tut not

Die japanische Konkurrenz, so Honda, Toyota, Hyundai arbeiten mit Witricity zusammen. Das Unternehmen von der amerikanischen Ostküste entwickelte das DRIVE-System. Es hat sich Interoperabilität auf die Fahnen geschrieben, DRIVE soll sich für jedes Auto eignen. Mit dem Kauf von Halo, das in das eigene System Drive 11 integriert werden soll, scheint ein einheitliches System und eine Standardisierung nicht mehr allzu fern.

Standardisierung heißt an erster Stelle: Basisladeeinheit (BCU) und Fahrzeugladeeinheit (VCU) sind miteinander kompatibel, sonst – fließt kein Strom. Auch bedeutende Autozulieferer wie Continental entwickeln induktive Ladelösungen. "AllCharge" ist auf bis zu 11 kW Ladeleistung ausgelegt. Es übernimmt den Ladevorgang vollautomatisch, sobald ein Elektroauto korrekt über der Bodenplatte des Systems parkt.

Continental hat dabei schon das teilautomatisierten Fahren im Blick: In Parkhäusern und am Flughafen parkt man künftig ohne Eingriff eines Fahrers. Er gibt sein Fahrzeug mit dem Smartphone ab und fordert es nach dem Einkauf, nach dem Flug damit wieder an – vollgeladen, versteht sich.

Auch auf deutscher Ebene wird die Vereinheitlichung der Standards angestrebt: STILLE ist der sprechende Name des entsprechenden Projekts: die „Standardisierung induktiver Ladesysteme über Leistungsklassen.

Induktives Laden während der Fahrt – Zukunftsmusik?

Induktives Laden in der Elektromobilität ist also keine Utopie mehr, sondern bereits erprobt. Der Chip-Gigant „Qualcomm“ ging sogar noch einen Schritt weiter: kabelloses Laden während der Fahrt. Hierzu existiert bereits eine Teststrecke in der Nähe von Paris. Die Bodenplatten des Ladesystems wurden dort in die Fahrbahn verbaut. Fährt ein Auto mit maximal 100 km/h über dies Strecke, wird es mit 20 Kilowatt geladen. Dieses Ladesystem würde für uneingeschränkte Reichweiten von E-Autos sorgen, ganz ohne zusätzlichen Ladestopp. Weiterer Vorteil: kleinere Akkus würden genügen, was sich nicht nur positiv auf die Kosten, sondern auch auf die Umwelt auswirken würde.

Auch hierfür wäre eine Standardisierung des Systems notwendig, damit sich so eine Technik rentiert. Außerdem müssten die Ladestreifen hoch frequentiert sein. Als wahrscheinlichere Variante des induktiven Ladens wird das „Snack Charging“ angesehen. E-Autos sollen an Punkten induktiv geladen werden, an denen Sie im Verkehrsalltag sowieso anhalten müssen, wie zum Beispiel an Bahnübergängen oder an Ampeln.

„Die kurzen Zyklen sind das Beste, was dem Akku passieren kann: Je geringer die Ladeschübe, desto länger die Lebenserwartung.“

- BJÖRN ELIAS (AUDI)

Induktiv: ideal für Akkus

Viele Experten erwarten, dass sich drahtloses Laden über lang oder kurz durchsetzen wird. Ohne jedoch die Wallboxes zu verdrängen die tausendfach in Privatgaragen hängen – oder die Ladesäulen, die es so oft geben wird wie Tankstellen. Induktives Laden bietet zum Beispiel auch diesen Trumpf: Akkus mögen einen Ladezustand zwischen 40 und 80 Prozent, er tut ihrer Lebensdauer gut.

Während Fahrzeug-Besitzer bei zehn Minuten aus Bequemlichkeit zögern, das Kabel in die Steckdose einzustecken, würden sie es umso mehr schätzen, während eines Einkaufs 30 oder 60 Kilometer Reichweite zu „tanken“. Voraussetzung ist eine Ladeinfrastruktur, die genau das anbietet. Am einfachsten per Authentifizierung mit dem Smartphone oder durch ein Smart Car, das sich automatisch einbucht.

Induktionsexperte Thomas Nindl von Qualcomm vermutet in der „ZEIT“, dass Laden so eine völlig neue Qualität erhalten könnte: „Wenn sich die Technik durchgesetzt hat, wird ein Auto vier-, fünfmal am Tag induktiv nachgeladen. Der Fahrer sieht nur den grünen Balken für den optimalen Zustand von 60 bis 70 Prozent Akkufüllung.“ Wer keine Langstrecken fährt, „könnte künftig auch in Elektroautos unterwegs sein, die keine riesigen Batterien mehr brauchen, um immer genügend Reichweite für den Heimweg zu haben.“

Ein Wunschtraum ginge so in Erfüllung: Elektroautos mit schier unendlicher Reichweite, die zudem leichter und billiger als jetzige Modelle sein könnten.

Die Technik verlangt: sauber parken

Ein „Charging Pad“ ist annähernd quadratisch und misst etwa 60 bis 80 Zentimeter. Je nach Bauart wiegt es 15 bis 20 oder auch mal 40 Kilogramm. Es besteht im Wesentlichen aus Kunststoffen, nimmt die Spule auf und wird ans Stromnetz angeschlossen. Die Sekundärspule im Auto hat ungefähr die Größe eines DIN-A4-Bogens, platzsparend am Unterboden verbaut. Am besten geeignet ist in der Regel ein Platz mittig unter der Vorderachse. So lässt sich am bequemsten navigieren. Ähnlich wie Abstandssensoren oder Kameras als Einparkhilfe gibt es für den menschlichen Fahrer eine akustische und/oder optische Unterstützung.